Religion und psychische Gesundheit

Sich am Seil Allahs festhalten, wenn wir das Gefühl haben, dass wir uns nicht festhalten können. 

Ich erinnere mich, wie mein Sohn in seinem Schneeanzug auf dem Klettergerüst herumlief, während ich mich an einem Wintermorgen mit meiner Freundin unterhielt. Ich hatte meiner Freundin erzählt, dass unsere Forschung bei Yaqeen herausgefunden hatte, wie sehr die mentale Gesundheit und die Religiosität im Leben eines Muslims miteinander verwoben sind. Religiosität und mentale Gesundheit sind so eng miteinander verknüpft, dass ein Muslim, der Probleme mit seiner mentalen Gesundheit hat, wahrscheinlich auch einen Einbruch in seinem Glauben erlebt. Umgekehrt gilt das Gleiche: Wenn ein Gläubiger in seinem Iman auf die Probe gestellt wird, wird er wahrscheinlich auch psychische Probleme haben. Religiosität und geistige Gesundheit scheinen untrennbar miteinander verbunden zu sein. Als Eltern machen wir uns große Sorgen darüber, wie wir unsere Kinder so erziehen können, dass sie eine gute Chance haben, an ihrem Glauben festzuhalten. Diese Verbindung zwischen Glaube und geistiger Gesundheit bedeutet, dass die Förderung der geistigen Gesundheit unserer Kinder auch entscheidend für den Erhalt ihres Glaubens ist. 

Ich blinzelte meiner Freundin in der Wintersonne zu, als sie ihre Tochter auf der Schaukel anschob, und hoffte, dass ich das richtig verstanden hatte. Als Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler ist uns schmerzlich bewusst, dass unsere Arbeit oft so abstrakt und unverständlich ist, dass wir uns bei dem Versuch, die Anwendung unserer Forschung in der realen Welt zu erklären, verzetteln. Nachdem meine Freundin aufmerksam zugehört hatte, sagte sie: "Das macht absolut Sinn. Es ist, als würdest du dich am Seil Allahs festhalten wollen, aber deine Hände sind glitschig."

Das unruhige Herz

Ich war erstaunt, wie gut meine Freundin den Kern der Botschaft auf den Punkt gebracht hatte. Wenn wir mit psychischen Problemen zu kämpfen haben, werden unsere Hände tatsächlich glitschig. Ob es unsere Sorgen sind, die uns beim Beten ablenken, Depressionen, die es uns schwer machen, die Welt mit Dankbarkeit zu sehen, oder tiefe Trauer, die uns die Hoffnung auf Allahs Barmherzigkeit verlieren lässt - unser emotionaler Zustand wirkt sich tief auf unsere Fähigkeit aus, mit unserem Herrn zu kommunizieren. Wir sind emotionale Wesen, und das Wort "Bewegung" (engl. Motion) steckt nicht ohne Grund in dem Wort "Emotion". Unser emotionaler Zustand ist ständig in Bewegung. Auch wenn wir unsere Emotionen nicht so leicht zeigen, erleben wir diese Gefühlsturbulenzen bei unseren Kindern, die in Sekundenschnelle von einem Nervenzusammenbruch, bei dem sie schreien: "Du bist die schlimmste Mutter aller Zeiten", zu einer Umarmung und einem Kuss übergehen können. Wie unser geliebter Prophet ﷺ einst sagte, 

"Das Herz des Sohnes von Adam ist unbeständiger als kochendes Wasser" [Al-Jami' Al-Saghir #7282].

Inmitten dieses ständigen emotionalen Aufruhrs wird es natürlich schwierig, am Seil Allahs festzuhalten. Unser Prophet ﷺ war sich dieses ständigen Aufruhrs durchaus bewusst, und das am häufigsten wiederholte Du'a auf seinen Lippen war,

"O Wender der Herzen (Gott), mache mein Herz standhaft auf deinem Weg" [Jami' At-Tirmidhi #4522].

Die Suche nach dem Heiler 

In dieser säkularen Welt ist es leicht, Trost oder Verständnis in den Mainstream-Medien zu finden - in einem Roman, der uns zum Weinen bringt, oder in einem Film, der unser Herz berührt. Eine einfache Google-Suche kann Dutzende von psychologischen Diensten, Therapeuten und Quellen nützlichen Wissens zutage fördern, die uns durch die psychischen Turbulenzen, mit denen wir konfrontiert sind, helfen können. Aber wenn psychische Gesundheit und Religiosität für den Gläubigen untrennbar miteinander verwoben sind, dann fehlt auf dieser therapeutischen Reise etwas Entscheidendes. Als Gläubige müssen wir die Heilung unserer Seele an unseren Herrn, unseren Beschützer und Führer, binden. Wenn wir die Heilung unserer Seele von unserem Rabb (Gebieter) trennen, begeben wir uns auf trübes Terrain, weil wir unseren Heiler aus der Gleichung herausnehmen. Wenn die Erziehung (tarbiya) unserer Kinder ohne Wärme und emotionale Zuwendung erfolgt, kann der Iman (die religiöse Überzeugung) unserer Kinder auf wackligem Boden stehen. Die Unfähigkeit, persönliche Traumata zu verarbeiten, ist einer der häufigsten Wege zu Glaubenskrisen bei Muslimen, und eine zu strenge Glaubenserziehung kann dazu führen, dass sie Zweifel hegen. Als Eltern müssen wir unsere Kinder mit den Werkzeugen der Emotionsregulierung und der Widerstandsfähigkeit ausstatten, während wir ihnen die Lehren unseres Deen (Glaubens) vermitteln. Das ist wichtig, damit sie die schwierigen Fragen des Lebens meistern und mit Verlusten umgehen können, während sie gleichzeitig ihren Iman und ihre geistige Gesundheit fördern. Die Suche nach einem Sinn in unserem Leid - unsere tiefe Überzeugung, dass Allah einen größeren Plan für uns hat - ist eine der tiefsten Quellen des Trostes für uns als Gläubige, die uns hilft, an unserem Glauben festzuhalten, selbst wenn unsere Hände rutschig werden.

Die zentrale Rolle der Religiosität für die mentale Stabilität von Muslimen 

Das bedeutet, dass wir bei emotionalen Turbulenzen und psychischen Problemen am meisten davon profitieren, wenn wir Betreuungsmöglichkeiten suchen, die sowohl unsere psychische Gesundheit als auch unser spirituelles Wohlbefinden fördern. In unserer Studie haben wir festgestellt, dass die Religiosität der beste Prädiktor für positive psychische Gesundheitsergebnisse wie Lebenssinn, Lebenszufriedenheit und Wohlbefinden ist. Die anderen Prädiktoren wie Alter, Geschlecht und Bildung waren zwar signifikant, kamen aber nicht an die Wirkung der Religiosität heran. Eine islamisch integrierte psychische Gesundheitsversorgung kann nicht nur die psychischen Probleme ansprechen, mit denen wir konfrontiert sind, sondern auch unser spirituelles Herz erreichen - das schlagende Herz des Gläubigen.

Versteckt im Schatten: Muslimische Zweifel 

Wenn ein Gläubiger oder eine Gläubige in eine Glaubenskrise gerät, wird er oder sie wahrscheinlich auch mit seiner/ihrer psychischen Gesundheit kämpfen. Diese Glaubenskrisen treffen auch die Besten von uns. Ein Gefährte kam einmal zum Propheten ﷺ und sagte: "O Gesandter Allahs! Einer von uns hat solche Gedanken, dass er lieber zu Holzkohle wird, als über sie zu sprechen." Der Prophet antwortete,

"Allahu Akbar! Allahu Akbar! Allahu Akbar! Gepriesen sei Allah, der das Böse des Shaytans (Teufels) auf Einflüsterungen und Gedankengänge reduziert hat" [Sunan Abī Dāwūd #5112].

Unser Deen ist so barmherzig, dass er anerkennt, dass es ein Zeichen von klarem Glauben (Iman) ist, religiöse Zweifel zu haben und nicht unangemessen darauf zu reagieren, und unser barmherziger Herr belohnt uns für das Unbehagen, das wir wegen dieser Zweifel empfinden. Wir erhalten auch die praktische Anweisung, mit unseren Zweifeln umzugehen, indem wir "Amantu billah" (Ich glaube an Allah) sagen und uns daran erinnern, dass Zweifel nur ein Beweis für die Hartnäckigkeit von Shaytan (vom Teufel) sind und nicht ein Zeichen unserer eigenen Schlechtigkeit.

Viele von uns schämen sich jedoch so sehr für ihre Zweifel und Fragen, sodass sie lieber in der Dunkelheit stolpern, als Hilfe zu suchen. Erst als ich mich in einem Programm wiederfand, in dem ich jede Woche Zugang zu Gelehrten hatte, fasste ich endlich den Mut, mich an einen meiner Lehrer zu wenden, um mir durch eine existenzielle Krise zu helfen. Wir müssen die Kluft zwischen uns und unseren Lehrern schließen. Es kann nicht sein, dass die Menschen das Gefühl haben, niemanden zu haben, an den sie sich wenden können. Genauso werden auch unsere Kinder mit religiösen Zweifeln zu kämpfen haben. Erst neulich hat sich mein Sohn den Zeh gestoßen und gejammert: "Warum lässt Allah es zu, dass ich mich verletze?!" Offensichtlich ist selbst für ein Kind ein persönliches Trauma ein Weg zum Zweifel. Der wichtigste Faktor bei uns zu Hause, wenn es darum geht, einen "festen Glauben" zu kultivieren - die Art von Iman, an der wir auch in den Stürmen des Lebens festhalten - ist eine offene Kommunikation, bei der unsere Kinder mit ihren religiösen Zweifeln zu uns kommen können, ohne dass wir sie abwürgen müssen. Wenn wir sie nicht angemessen beantworten können, können wir ein Vorbild für eine gesunde Hilfesuche sein, indem wir die Fragen unserer Kinder zu einem Imam oder Religionsgelehrten bringen und selbst ständig nach Wissen suchen.

Das Bedürfnis nach tiefer Verbundenheit

Wenn es eine symbiotische Beziehung zwischen Religiosität und psychischer Gesundheit gibt, dann bedeutet das, dass wir unseren Kindern (und uns Erwachsenen) beibringen müssen, wie wir uns emotional mit dem Koran und unserem Deen verbinden können. Wie Muhammad Iqbals Vater einst zu ihm sagte,

"Mein Sohn! Wann immer du den Koran rezitierst, tue so, als würde er dir in dein Herz offenbart werden. Wenn du den Koran auf diese Weise liest, wird er bald dein ganzes Wesen durchdringen. "

Diese tiefe emotionale und spirituelle Verbindung ist es, die uns mit unserem Herrn verbinden wird. Dieses schöne Gespräch zwischen einem Vater und seinem Sohn zeigt auch, wie wir als Eltern unseren Kindern helfen können, diese emotionale Verbindung zum Wort Allahs aufzubauen. Ohne dieses wichtige Element wird die trockene Lehre unseres Glaubens zu einer Generation führen, die in ihrem Glauben keinen Trost findet und überall anders nach Sinn und Trost sucht. Eine Generation, für die der Glaube irrelevant wird, weil ihr Glaube sie nicht trösten kann, wenn die Not sie trifft, was unweigerlich der Fall sein wird.

Unsere Hände werden schlüpfrig werden. Wir werden im Leben vor Prüfungen stehen, die uns in die Knie zwingen. In diesen Momenten können wir uns von unserem Herrn weit entfernt fühlen, und diese Entfremdung vom Göttlichen wird unser Herz zerbrechen lassen. Als Muslime müssen wir alle Werkzeuge in unserem Arsenal nutzen, um uns unserem Rabb (Gebieter) zu nähern. Durch eine durchdachte spirituelle und psychologische Beratung können wir als Gläubige eine Integration unseres spirituellen und emotionalen Selbst finden, sodass wir das Seil Allahs wieder fest umklammern können.

Original: https://yaqeeninstitute.org/yaqeen-institute/healing-the-soul-religion-and-mental-health