Vom Islamgegner zu Muslim

Ich bin Nils, 51 Jahre alt und Chefarzt in einem Krankenhaus. Dort arbeite ich Seite an Seite mit meinem Kollegen Ali. Ali ist Oberarzt, kommt aus Nürnberg und hat, wie der Name verrät, türkische Wurzeln. Ich schätze die Zusammenarbeit mit Ali sehr, denn er arbeitet gewissenhaft, ist zuverlässig und übernimmt Verantwortung. Als wir uns kennenlernten, wollte ich wissen, wie Ali zu seinem Beruf kam und was ihn motiviert, im Krankenhaus jeden Tag sein Bestes zu geben. Daraufhin erklärte er mir, dass er seine Religion sehr ernst nimmt. Einer der Leitfäden des Islams sei, verantwortungsbewusst zu sein und seine Aufgaben richtig zu erledigen. Er hält sich dabei an den Ausspruch des Propheten Mohammad: “Gott liebt es, wenn einer von euch seine Aufgabe gewissenhaft und richtig erledigt.”

Bis zu diesem Gespräch verband ich den Islam immer mit Terrorismus und war davon überzeugt, dass der Islam rückwärtsgewandt ist und nicht zu unserer heutigen Zeit passt. Meine Meinung über den Islam ähnelte der der AFD oder dem österreichischen Kanzler Sebastian Kurz. Meine Erfahrungen aus dem Krankenhaus, wo viele Patienten aus den Golfstaaten behandelt werden, bestärkten diesen Standpunkt.

Doch durch den Austausch mit meinem Kollegen fing ich an, meine Meinung zum Islam infrage zu stellen und fragte mich, ob ich vielleicht vorschnell geurteilt hatte. Ich erzählte meiner Frau von den Gesprächen mit Ali, dessen Leistung und Motivation auf der Arbeit und gab zu, dass es offensichtlich unterschiedliche Arten von Muslimen gibt. Ich realisierte außerdem, dass nicht jede meiner Erfahrungen mit Muslimen pauschal der Religion des Islams zugeschrieben werden konnte.

Es liegt in meinem Naturell, mich in Themen einzulesen, zu forschen und fachliche Grundlagen für Thesen zu finden. Deswegen fing ich an über den Islam zu recherchieren, ihn zu studieren, mich intensiv mit Ali auszutauschen und besuchte Unterrichte in lokalen Moscheen, um mehr über die Religion zu erfahren. Ich wurde dort immer offen empfangen und genoss den fruchtbaren Austausch. Dieser Austausch führte letztendlich dazu, dass ich den Islam als meine eigene Religion annahm. Einige Jahre später folgte mir auch meine Frau – was sich als die beste Entscheidung unseres gemeinsamen Lebens herausstellte. Diese neu gefundene Lebensweise gibt uns Zufriedenheit in diesem Leben und Hoffnung für unser Leben im Jenseits. 

Ich empfehle jedem, sich selbst mit der Religion des Islams auseinanderzusetzen und Vorurteile kritisch zu beäugen: Woher stammen diese Vorurteile? Gibt es fundierte Grundlagen dafür? In jeder Religion und Gemeinschaft gibt es Ausreißer, die entfernt von der eigentlichen Lehre und Idee leben und in ein Extrem verfallen. Das ist nicht nur in Religionen der Fall, sondern auch bei anderen Gemeinschaften wie z.B. bei Fußballfans. Genauso wie es friedliche Fans und aggressive Hooligans gibt, gibt es friedliche Muslimen und leider eben auch gewaltbereite Extremisten. Diese Gegensätze dürfen aber nicht dazu führen, dass die gesamte Religion verteufelt wird, denn diese lehrt: “Dieser Glaube ist gewiss einfach. Kein Mensch soll in Extremen verlieren, was die Angelegenheiten des Glaubens anbelangt, denn sonst wird ihn die Religion überwältigen.”

Ali und ich arbeiten bis heute noch im selben Krankenhaus und versuchen, wenn es die Arbeit erlaubt, regelmäßig gemeinsam zu beten. Mittlerweile hat die Krankenhauskapelle auch eine kleine Gebetsnische für Muslime eingerichtet.